Das Johannes-Althusius-Gymnasium (JAG) Emden hat vor mehreren Jahren ein Klimaparlament gegründet. Um zu erfahren, was ein Klimaparlament eigentlich macht und welche Erfahrungen die Schüler*innen sammeln, führe ich - Anne Pinnow (UBA) - ein Interview mit Marina Jäckel (Klimaratsvorsitzende) und Aurora Kirchhof (Öffentlichkeitsarbeit). Sie sind Schülerinnen der 10. Klasse. Außerdem ist mit dabei Nina Klabunde vom Verein „Schule ein Gesicht geben“. Der Verein unterstützt Schulen bundesweit, Klimaparlamente zu gründen.
Anne: Wie kam es bei euch zur Gründung des Klimaparlaments?
Marina: Die Gründung erfolgte auf Initiative von vier Schüler*innen der Unesco-AG, sie wurden im Prozess von zwei Lehrkräften betreut. In jeder Klasse wurde ein Klimaparlamentsabgeordneter gewählt. Diese haben sich dann getroffen und gemeinsam ein höheres Gremium gewählt - den Klimarat.
Der Klimarat trifft sich wöchentlich und plant Projekte. Hier beteiligen sich Menschen, die sich ein bisschen mehr engagieren wollen. Das Klimaparlament tagt halbjährlich, erhält Updates vom Klimarat und gibt uns Ideen mit.
Um einen Eindruck von euren Tätigkeiten zu bekommen, was habt ihr in den letzten Jahren gemacht und erreicht?
Marina: Sehr stolz sind wir auf unsere Photovoltaikanlage, außerdem haben wir einen Spendenlauf „Wasser für Kenia“ organisiert, Müllsammelaktionen und Energiesparrundgänge gemacht. In Zukunft wollen wir auch Fahrräder zum Verleih zur Verfügung stellen.
Woran arbeitet ihr gerade im Klimarat?
Aurora: Wir haben ein Müllproblem an unserer Schule, also das Müllsortiersystem ist unübersichtlich. Manchmal fehlen Mülleimer oder die Beschriftung ist nicht eindeutig. Wir gehen gerade durch alle Klassen und notieren fehlende Mülleimer und planen Bestellungen.
Marina: Vor zwei Jahren haben wir bereits Beschriftungen erstellt und ein Mülltrennungsvideo gemacht. Dennoch wurde Müll auf der Sitzung des Klimaparlaments dieses Jahr wieder als größtes Problem identifiziert. Im Gespräch mit den Schüler*innen erfuhren wir mehr über die Probleme beim Mülltrennen und auch, dass unsere Reinigungskräfte alles in einen Sack warfen. Das konnte mittlerweile behoben werden.
Das ist in sehr schönes Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung. Ihr habt die Ursachen analysiert, mit Beteiligten gesprochen und die Reinigungskräfte als Schlüsselpersonen identifiziert.
Marina: Genau, das war nicht einfach, weil die Reinigungskräfte nicht von der Schule, sondern bei der Stadt angestellt sind. Wir mussten mit dem Stadtparlament und unserem Oberbürgermeister sprechen. Die Stadt hat dann ein Preisgeld für gute Mülltrennung ausgelobt und wir organisierten einen Wettbewerb: Die Reinigungskräfte bewerteten die Mülltrennung in den Klassen. Die Siegerklasse gewann einen Preis.
Ihr musstet euch an den Bürgermeister wenden, damit die Reinigungskräfte den Müll richtig trennen können?
Marina: Ja, das machen wir auch regelmäßig, vor allem wenn es um Fördergelder geht. Unsere erste Aktion war eine Photovoltaikanlage. Viele Schulen sind beeindruckt, dass wir direkt zum Oberbürgermeister gegangen sind, weil sie so viele Probleme in dem Bürokratiechaos haben.
Damals sind wir als geschlossener Rat zu unserem Oberbürgermeister gegangen und konnten ihn überzeugen, weil der Stromüberschuss ins Netz eingespeist wird und die Stadt damit Geld verdient. Bei anderen Projekten sind sie weniger kooperativ, da sie keinen direkten Nutzen sehen.
Das ist sehr beeindruckend, dass ihr euch traut, mit Politiker*innen über eure Anliegen zu sprechen. Wie kam es dazu?
Marina: Unsere Lehrer sind sehr engagiert. Einer von ihnen hat den Klimarat mitgegründet und Kontakte zur Stadt. Er hat mich zu einer Stadtratssitzung mitgenommen, um unser Vorhaben zu präsentieren. Seitdem erkläre ich oft unsere Projekte – manchmal mit Aurora oder anderen zusammen.
Du, Nina, begleitest Schulen in Berlin dabei, Klimaparlamente zu gründen. Welche Themen greifen Klimaparlamente in anderen Schulen auf und wie gehen sie vor?
Nina: Die Mitglieder des Klimaparlaments können durch die Wahl ihrer Aktionen und Projekte großen Einfluss auf das Umweltbewusstsein der Schulgemeinschaft nehmen. Um die Mehrzahl der Schüler*innen und Lehrkräfte Schritt für Schritt mit ins Boot zu holen, kann zum Beispiel ein Projekt zur Mülltrennung wie hier sehr hilfreich sein. Einfach, weil es alle betrifft. Andere Schulen erstellen als ersten Schritt eine CO2-Bilanz mit Hilfe eines CO2-Rechners. Dann können sie genau sehen, an welcher Stelle die Klimaschutzmaßnahmen am sinnvollsten sind. Oftmals ist das auch ein Augenöffner für die Mehrheit in der Schule, die gar nicht wusste, dass es überhaupt ein Problem gibt. Für neu gegründete Klimaparlamente empfehlen wir: Nicht zu schnell alles auf einmal zu wollen! Wer als erste Maßnahme alle Ski-Ausflüge oder Flugreisen verbieten will, riskiert auf viel Widerstand zu stoßen. Deshalb ist es insgesamt hilfreich, bei der Entscheidungsfindung zu den Klimaschutzmaßnahmen kleinschrittig vorzugehen und alle Informationen und Erkenntnisse möglichst transparent zu machen, damit der Großteil der Schulgemeinschaft sich darauf gut einlassen kann.
Ihr sammelt wichtige Erfahrungen, Marina und Aurora. Was lernt ihr durch euer Engagement im Klimarat?
Marina: Man lernt, an wen man sich wenden muss, wie man sich ausdrückt, um verstanden zu werden. Man gewinnt ein größeres Selbstbewusstsein, weil man ernst genommen wird und Respekt erhält. Außerdem lernt man viel über Klimaschutz und kann sich von Projekten anderer Schulen inspirieren lassen.
Aurora: Auch kreatives Denken - wir haben viele Ideen und überlegen, wie wir sie attraktiv gestalten. Es geht darum, Projekte gut zu präsentieren, damit sich Menschen beteiligen, wie bei der Mülltrennung.
Was unternehmt ihr, um die Beteiligung zu erreichen, die ihr braucht?
Aurora: Wir gehen in die Klassen, halten Vorträge, schreiben Texte, teilen Informationen auf IServ (digitale schulinterne Plattform). Wir wollen die Menschen auch emotional erreichen. Das finde ich auch ganz wichtig, weil wir keine Roboter sind und nur so Menschen erreichen. In den Klimaparlamentssitzungen geben wir den Vertreter*innen mit, was sie in die Klassen tragen sollen. Wir haben auch sehr engagierte Lehrer, die das Thema Klimaschutz aktiv unterstützen.
Viele junge Menschen verspüren eine Klimaangst und fühlen sich angesichts der Klimakrise ohnmächtig. Wie geht es euch damit und hat sich das Gefühl durch euer Engagement verändert?
Aurora: Ja, durch den Klimarat wird einem jede Woche bewusst, dass das Problem real ist. Wir haben alle Angst vor den möglichen Folgen und wir sehen, dass die vorherigen Generationen den Weg durch ihre Lebensweise erschweren.
[Aurora muss los und verabschiedet sich]
Marina: Seitdem der Klimarat effizienter gestaltet wurde, merkt man jede Woche, dass sich etwas bewegt. Da ich in Deutschland lebe, muss ich gar nicht so eine große Angst haben wie andere Menschen. Deutschland hat genug Geld, um sich zu schützen. Mir macht Angst, dass so viel verloren geht: der Regenwald, Artenvielfalt, medizinisches Wissen. Dagegen möchte ich etwas tun. Wir können unseren CO2-Fußabdruck nicht komplett verschwinden lassen, aber man kann ihn verringern und den Klimawandel verlangsamen. Durch den Klimarat habe ich das Gefühl, etwas bewirken zu können. Das kann auch jede*r bei vielen Entscheidungen: heute esse ich kein Fleisch, heute fahre ich mit dem Fahrrad zur Schule. Man merkt, dass man nicht ohnmächtig ist, sondern aktiv handeln und sich auch politisch engagieren kann.
Welchen Herausforderungen begegnet ihr mit euren Anliegen als Klimarat?
Marina: Nach den Klimaparlamentssitzungen kommen immer viele Interessierte zum Klimarat, aber die meisten bleiben nicht lange. Wir wären gern mehr. Wir haben mal einen Energiesparrundgang gemacht. Da wurden die Gebäude untersucht und was energieeffizienter werden muss. Die Baustadträtin lehnte Verbesserungen als zu teuer ab - im Gegensatz zur Photovoltaikanlage, die finanziellen Nutzen brachte. Jetzt müssen sie sanieren, weil unsere Schule nicht mehr dem anerkannten Energiestandard entspricht.
Wir versuchen auch stärker in die Schulorganisation eingebunden zu werden, konkret in die Sitzungen der Schüler*innenvertretung (SV). Das wurde aber abgelehnt, da der Klimarat bereits ein Untergremium der SV ist, sodass dies als nicht notwendig angesehen wird.
Nina, welche Herausforderungen für die Klimaparlamente beobachtet ihr an anderen Schulen?
Nina: Herausfordernd ist es vor allem dort, wo Klimaschutz nicht als gemeinsame Aufgabe der gesamten Schulgemeinschaft verstanden wird. Häufig fehlen Zeiträume im Schulalltag, Unterstützung durch die Schulleitung oder verlässliche Ansprechpartner*innen. Zudem ist die Arbeit vieler engagierter Schüler*innen stark von freiwilligem Engagement abhängig – ohne strukturelle Anerkennung oder Unterstützung durch Ressourcen. Auch die Übergabe an nachfolgende Jahrgänge ist ohne Begleitung schwierig.
Was müsste sich ändern, damit Klimaschutz in der Schule effektiver umgesetzt wird?
Nina: Klimaschutz muss als Querschnittsaufgabe in Schulen verstanden und auch strukturell ermöglicht werden – durch feste Zeitfenster für Mitbestimmung, langfristige Begleitung, verlässliche Ressourcen und politische Rückendeckung. Außerdem braucht es Verbindlichkeit auf Landes- und Bundesebene, damit Schulen nicht nur „dürfen“, sondern auch „müssen“. Schüler*innen brauchen echte Mitentscheidungsräume – nicht nur symbolische Beteiligung. Und: Klimaschutz muss sichtbarer Teil von Schulprogrammen, dem Lehrplan und der Lehrer*innenausbildung werden.
Trotz der Hürden, Marina, habt ihr an eurer Schule allerhand verändert. Was hilft euch dabei?
Marina: Anfangs trafen wir uns nur alle zwei Wochen in den Pausen, oft nur 20 Minuten. Manche mussten dann noch früher los. Da passierte wenig und die Gruppe schrumpfte. Jetzt treffen wir uns regelmäßig einmal in der Woche für eine halbe Stunde. Auch die Treffen sind strukturierter und effektiver.
Unsere engagierten Lehrer sind eine große Unterstützung, ebenso der Schulleiter, der Hausmeister und unsere gut vernetzte Koordinatorin mit Kontakten zur Politik und Kultur. Bei einem Spendenlauf für Wasser in Kenia haben alle mitgemacht – hauptsächlich, weil die Lehrer das Projekt aktiv beworben haben. Ohne sie hätten wir die Beteiligung nicht erreicht.
Nina: Vielleicht könnte der Klimarat ein gemeinsames Projekt mit der SV planen – ein niedrigschwelliges Projekt, an dem alle teilnehmen können.
Marina: Bei der zweijährlichen Projektwoche gibt es auch viele klimafreundliche Projekte. Vor kurzem organisierten drei Schülerinnen eine Kleidertauschbörse, die bis heute läuft.
Wenn du einen Wunsch freihättest, was sollte sich ändern?
Ich wünsche mir, dass die Leute aufhören zu nörgeln. Leute sollten lieber – wenn auch im Kleinen – anfangen, aktiv zu werden, statt rechte Parteien zu wählen. Es sollte akzeptiert werden, dass gesellschaftlicher Wandel ein komplizierter Prozess ist. Wir sollten alle ein bisschen entspannter miteinander reden und versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden. Marina
Was würdest du Schüler*innen raten, die sich engagieren oder einen Klimarat gründen wollen?
Marina: Dass jeder etwas bewirken kann. Habt keine Angst vor Herausforderungen – aus jeder kann man lernen. Solange man zusammenarbeitet, lässt sich immer etwas bewegen. Es ist eine gute Idee, mehr Klimaräte und Klimaparlamente in Schulen zu gründen. Dies muss aber aus freien Stücken geschehen, da eine Verpflichtung zur Gründung solcher Gremien nichts bringen würde. Die Schülerinnen und Schüler müssen aus eigenem Engagement Veränderungen auf den Weg bringen. Die Lehrkräfte sollten sie dabei ermutigen und unterstützen.
Weiterführende Informationen
Schule ein Gesicht geben
Seit März 2024 haben etwa 50 bis 70 Schulen durch Veranstaltungen, Beratungsangebote und Materialien vom Konzept des Klimaparlaments erfahren. Wir stellen unser Know-how kostenlos zur Verfügung: Materialien, Workshops, Fortbildungen und individuelle Begleitung – alles, was ihr braucht, um an eurer Schule ein starkes Klimaschutzgremium wie einen Schul-Klimarat oder ein Klimaparlament aufzubauen und langfristig wirksam zu gestalten. Ob erste Orientierung, konkrete Projektplanung oder kontinuierliche Begleitung – wir holen euch dort ab, wo ihr steht.
- Flyer - Klimaschutzgremium für eure Schule
- Materialsammlung: Informationen, Checklisten, Best Practices
- Greenpeace: CO2-Schulrechner
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