Faktenwissen
- Zeitwohlstand macht glücklich
- Erwerbs- und Care-Arbeit sind Konkurrenten von Zeitwohlstand
- Zeitrebound: Zeitnot trotz Zeiteinsparung
Zeitwohlstand ist ein kostbares Gut, das maßgeblich unser persönliches Glück und Wohlbefinden beeinflusst. Studien belegen, dass Zeitnot negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Lebensqualität hat. Für das Empfinden von Zeitwohlstand ist eine ausgewogene Balance zwischen verfügbarer Zeit, Tempo, Planbarkeit, Synchronisierung von Aktivitäten mit anderen und Zeitsouveränität entscheidend. Denn Zeitwohlstand geht über die reine Menge der verfügbaren Zeit hinaus und umfasst auch die Möglichkeit, die Zeit selbstbestimmt zu nutzen und sie mit den Menschen zu verbringen, die uns wichtig sind.

Menschen, die über ausreichend Zeit verfügen und ihr Leben in einem entschleunigten Tempo gestalten können, berichten von einem höheren Wohlbefinden.
Darüber hinaus zeigt sich, dass Zeitwohlstand auch einen positiven Einfluss auf nachhaltiges Verhalten hat. Weniger Zeitdruck kann dazu führen, dass wir bewusster konsumieren und weniger (ungenutzte) Güter anhäufen, was wiederum zur Schonung von Ressourcen und zur Reduzierung unserer Umweltbelastung beiträgt. Zeitwohlstand ist somit nicht nur für unser persönliches Glück von Bedeutung, sondern kann sich auch positiv hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise auswirken.
Kritisch nachgedacht
- Konsum macht glücklich!
- Nachhaltiger Konsum? Dauert mir zu lange!
- Zeitwohlstand? Ist doch nur was für Gutverdienende!
Der Konsum von Gütern und Dienstleistungen kann durchaus kurzfristig Freude und Glücksgefühle hervorrufen. Dieses Phänomen ist durch den Reiz des Neuen und die Befriedigung unmittelbarer Wünsche bedingt. Ein neues Smartphone, ein schönes Kleidungsstück oder ein aufregender Urlaub können unsere Stimmung deutlich heben. Dieser kurzfristige Glückszuwachs ist jedoch meist nicht von langer Dauer. Der Mensch kehrt relativ schnell wieder zu seiner „Grundlinie des Glücks“ (“Happiness Set Point”) zurück. Diese Grundlinie ist ein Punkt bzw. besser ein Bereich von Glücksempfinden, der jedem Menschen eigen ist und der von äußeren Reizen oder Ereignissen zeitweilig verschoben werden kann, bis wir uns an diese gewöhnt haben bzw. sie selbstverständlich geworden sind.
Langfristig gesehen führt also ständiger Konsum selten zu einem anhaltenden Gefühl von Zufriedenheit. Zwar wurde die weit verbreitete These, dass das Glück ab einer Schwelle von 75 000 Dollar (oder knapp 71 000 Euro) Jahreseinkommen „stagniert“, in einer Studie von 2023 widerlegt, aber die Untersuchung hat auch gezeigt, dass die Menschen, deren Glückszustand sich parallel zum Einkommenszuwachs erhöht, meist auch vor dem Einkommenszuwachs schon glücklich und zufrieden waren. Es scheint also, dass der wachsende Reichtum nicht die Hauptursache der Zufriedenheit war.
Eine nachhaltige Glücksquelle findet sich öfter in eher nicht-materiellen Aspekten des Lebens. Soziale Beziehungen, (gemeinsame) Erlebnisse, persönliche Weiterentwicklung und sinnstiftende Tätigkeiten tragen wesentlich mehr zu einem dauerhaften Gefühl des Wohlbefindens bei. Studien belegen, dass Menschen, die ihre Zeit und Ressourcen in Erlebnisse und zwischenmenschliche Beziehungen investieren, tendenziell zufriedener sind als jene, die hauptsächlich materiellen Besitz anhäufen.
Deshalb denken wir: Konsum macht kurzeitig glücklich. Langfristig sollten wir auf der Suche nach Glück aber eher in Beziehungen, persönliches Wachstum und sinnstiftende Aktivitäten investieren als in den Erwerb von immer neuen Dingen.
Arbeitszeitverkürzung für nachhaltigen Konsum?
Verschiedene Studien der letzten Jahrzehnte zeigten, dass eine Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen reduziert. Einer Studie in Schweden zufolge sanken die Treibhausgasemissionen fast in einem ähnlichen Maße, wie die Arbeitszeit reduziert wurde. Ein Prozent weniger Arbeitszeit führte damit zu 0,7 % bzw. 0,8 % weniger Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen je Haushalt. Die Studienteilnehmenden arbeiteten 30 statt 40 Stunden und sparten 8% Treibhausgase ein.
Nach vielen internationalen Studien zur 4-Tage-Woche wurde 2024 in Deutschland eine Pilotstudie gestartet. Über sechs Monate haben 45 Unternehmen an dem Versuch teilgenommen und die Arbeitszeit der Beschäftigten bei vollem Lohnausgleich auf vier Werktage reduziert. Die Ergebnisse sind verheißungsvoll: die Produktivität wurde gesteigert, Beschäftigte sind zufriedener mit ihrer Arbeit, die Teilnehmenden waren ausgeruhter, das Stresslevel sank und die Gesundheit verbesserte sich.
Einer Umfrage zufolge würden in Deutschland mehr als 75 Prozent der Bevölkerung eine Arbeitszeitbegrenzung auf vier Tage begrüßen, immerhin 14 Prozent der Menschen in Deutschland würden dafür sogar Lohneinbußen in Kauf nehmen (siehe Abbildung).

Ist die 4-Tage-Woche also eine Lösung für einen nachhaltigen Lebensstil?
Zwar ergab die oben erwähnte schwedische Studie hohe Einsparpotenziale und senkte Treibhausgasemissionen, jedoch kamen die Ergebnisse zustande, weil sich das Einkommen und damit der Konsum durch fehlenden Lohnausgleich reduzierte. In der deutschen Studie, bei der das Einkommen sich nicht änderte, wurde die Entwicklung der Treibhausgasemissionen der Studienteilnehmer*innen nicht betrachtet.
Ob eine Arbeitszeitverkürzung positive Umwelteffekte hat, hängt also von deutlich mehr Faktoren ab. Relevant sind: werden weniger Konsumausgaben getätigt, wie wird die frei gewordene Zeit verwendet, ersetzen ressourcenschonende Aktivitäten ressourcenintensive Tätigkeiten (Bahn fahren statt fliegen) oder werden Pendelstrecken eingespart? Die Umweltwirkungen unterscheiden sich, je nachdem, ob beispielsweise die Freizeit in der näheren Umgebung oder zu Hause verbracht wird oder stattdessen Unternehmungen und Reisen in größerer Entfernung getätigt werden. Vor allem bei erhöhter Reisetätigkeit nimmt die Umweltwirkung in Form von CO2-Emissionen zu.
Es ist wahrscheinlicher, dass ein freier Freitag Wochenendausflüge mit größerer Entfernung begünstigt und Emissionen insgesamt steigen. Ein freier Mittwoch würde womöglich eher zur persönlichen Erholung und weniger ressourcenintensiven Tätigkeiten genutzt werden. Der Ansatz der ökologischen Zeitwohlstandspolitik greift solche Ideen auf.
Drei Ideen ökologischer Zeitwohlstandspolitik
Wir haben gesehen, dass mehr freie Zeit allein nicht zu Ressourcenschonung führt. Dennoch ist Zeit Voraussetzung für nachhaltige Lebensstile. Hier setzt ökologischen Zeitwohlstandspolitik an. Diese versucht Anreize zu setzen, damit die frei gewordene Zeit für wenig konsumintensive Handlungen oder sogar für ökologisch nützliche Aktivitäten eingesetzt wird.
Drei Ideen ökologischer Zeitpolitik sind:
- Stipendien für Nachhaltigkeitszeit:Verteilung von Stipendien für mehrere Monate an Menschen, die sich für Nachhaltigkeit engagieren und so ihren Lebensunterhalt decken können.
- Anreize für wenig konsumintensive Freizeitbeschäftigungen: Ausbau des Breitensports und der Naherholungsgebiete.
- Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit und privater Pflege: niedrigschwellige Angebote für soziale Unterstützungsstrukturen. Freie Zeit würde eher in gesellschaftliches Engagement investiert werden.
Fazit: Die Reduktion der Erwerbsarbeitszeit in Verbindung mit weniger Konsum kann einen Beitrag zu nachhaltigem Konsum und geringerer Ressourcen- und Energieverwendung leisten. Allerdings hat sie Grenzen, da sie für Menschen mit niedrigem Einkommen oft keine Option darstellt. Besonders Menschen mit wenig Budget, Alleinerziehende oder jene ohne ausreichende Rücklagen haben oft keine Möglichkeit, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, ohne ihre Existenzgrundlage zu gefährden. Hier können politische Instrumente eine unkomplizierte Umsetzung nachhaltigen Konsums fördern oder durch Förderprogramme freie Zeiten schaffen, in denen sich Menschen auch mit geringerem Einkommen engagieren können.
Nachhaltiger Konsum trotz Zeitmangel
Wer an nachhaltigen Konsum denkt, dem fallen schnell Stichworte ein wie „Dinge reparieren“, „Dinge pflegen“, „mit anderen Teilen“, „mit Bedacht auswählen und kaufen“, „Gemüse selber anbauen statt zu kaufen“. All dies beansprucht Zeit, die wir in unserer beschleunigten Welt mit immer mehr Verpflichtungen nicht zu haben scheinen. Zeit in ausreichendem Maße zu haben, ist aber für viele nachhaltige Konsumoptionen eine Voraussetzung.
Doch Zeit ist ein rares Gut, denn obwohl die Erwerbsarbeitszeit seit den 70ern in Deutschland zurückgegangen und damit der Anteil an Freizeit gestiegen ist, leiden die Deutschen an erhöhter, zumindest „gefühlter“ Zeitnot. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland rund 25 Millionen Personen, die sich selbst zu den Menschen zählten, die zu wenig Zeit haben.
In der Folge könnte man meinen, dass Menschen mit Zeitwohlstand vor dem Hintergrund der drängenden Klima-, Ressourcen und Biodiversitätskrise dann automatisch nachhaltiger konsumieren, also eher den kaputten Tisch oder Toaster reparieren, sich Zeit nehmen für die Auswahl des umweltfreundlichsten Produktes oder die Strecke zur Arbeit öfter mit dem Fahrrad zurücklegen. Dies ist jedoch kein Automatismus.
Neue empirische Untersuchungen zeigen, dass es kaum direkte positive Zusammenhänge zwischen Zeitwohlstand und nachhaltigem Konsum (z.B. Reparatur von Dingen oder Kauf von Bioprodukten) gibt. Viel wichtiger dafür, ob oder dass nachhaltiger konsumiert wird, ist, welches Mindset Menschen haben. So konsumieren Menschen mit einem nachhaltigen Wertesystem (immaterielles Mindset) nachhaltiger. Menschen, denen Nachhaltigkeit weniger wichtig ist, würden bei Zeitwohlstand hingegen eher mehr Dinge oder Dienstleistungen konsumieren, also ihren Konsum erhöhen.
Daher sollte sich die Politik bemühen, Voraussetzungen zu schaffen, die Anreize für umweltfreundliches Verhalten und nachhaltigen Konsum setzen und die Zeitpräferenzen der jeweiligen Zielgruppe der Politik (z.B. Verbraucher*innen) berücksichtigen. Nachhaltige Konsumformen sollten möglichst nicht zeitintensiver sein als umweltschädliches Konsumverhalten.
Denkbar dafür sind beispielsweise folgende politische Instrumente und Initiativen:
- Ausbau ökologischer Alternativen zum motorisierten Individualverkehr (z.B. gutes ÖPNV-Netz sowie Radschnellwege) und ein Tempolimit besonders auch in Städten.
- Ausbau von konsumfreien, öffentlichen Räumen, die zum Verweilen einladen.
- Förderung und Ausbau von gut erreichbaren Reparaturangeboten, sodass Menschen leichteren Zugang zu Reparaturen haben oder die Reparatur z.B. von Kleidungsstücken und Smartphones lernen und in der Folge weniger Zeit dafür benötigen, wenn sie selber Reparaturen durchführen.
- Mehrwegsysteme anreizen und Einweggeschirre besteuern oder verbieten: Damit kann die Politik dazu beitragen, dass nachhaltigere Alternativen wie wiederverwendbare Behälter und Verpackungen allgemein verfügbarer werden, womit der Zeitvorteil bei der Nutzung von Einweg-Plastik verschwindet.
- Bildung für Nachhaltigkeit zielgerichtet stärken: z.B. (Fort-)Bildungsangebote für umweltverträglichere Ernährungsstile nicht (nur) an Verbraucher*innen, sondern auch an die Außer-Haus-Branche richten, weil diese einspringen, wenn zu Hause wegen hoher privater und beruflicher Mobilität weniger gekocht wird.
- Unterstützung und Nudging in Entscheidungssituationen für die nachhaltigere Variante: indem der Staat z.B. dafür sorgt, dass Label bzw. einfach verständliche und vertrauenswürdige Informationen für die schnelle Wahl von nachhaltigen Produkten vorhanden sind oder diese fördert. Damit kann Zeit für die Informationssuche eingespart werden. Ebenfalls könnten Entscheidungskontexte so gestaltet sein, dass die umweltfreundliche Wahl einfach und zeitsparend z.B. als Standardoption erfolgt. Ein Beispiel wäre das vegetarische Catering auf Veranstaltungen oder das voreingestellte Sparprogramm/Eco-Programm im Geschirrspüler.
Handlungsempfehlungen
Testen Sie hier Ihr Wissen zum Thema "Zeit und Nachhaltiger Konsum"
Learnings
- 1. Zeitwohlstand kann bewussteren Konsum fördern und den Ressourcenverbrauch reduzieren.
- 2. Zeitmangel erschwert nachhaltige Praktiken wie Reparieren und Teilen von Gütern.
- 3. Nachhaltiges Bewusstsein ist entscheidend für umweltfreundliche Zeitnutzung.
- 4. Politische Maßnahmen sollten nachhaltigen Konsum zugänglicher und zeitsparender machen.
- 5. Freizeitaktivitäten beeinflussen die Umweltbelastung unterschiedlich.
- 6. Die Reduktion der Erwerbsarbeitszeit kann einen Beitrag zu nachhaltigem Konsum und geringerem Ressourcen- und Energieverbrauch leisten.